„jeder sollte sich Gedanken um die Zukunft machen, denn wir werden den Rest unseres Lebens dort verbringen.“

Mit diesem Zitat von Charles F. Kettering beginnt das Buch von Eric Schmidt und Jared Cohen: Die Vernetzung der Welt – Ein Blick in unsere Zukunft. Die beiden schreiben dabei über die Auswirkungen der jungen Informationsrevolution, also Handynetze, Internet, Computer und soziale Netzwerke und was sich daraus noch entwickeln wird. In sieben Kapiteln und einem Fazit lassen sie sich zu ihren Erwartungen über die Zukunft der Menschen, von Identität und Zivilgesellschaft und Journalismus, der Staaten, der Revolution, des Terrorismus, der Konflikte und Kriege und zuletzt über den Wiederaufbau nach Naturkatastrophen oder Kriegen aus. Annähernd 70 der 441 Seiten sind Anhänge mit Register, Literaturverzeichnis und einer Fülle von Quellenangaben.

Die Autoren beziehen sich auf eine beeindruckende Liste von Interviewpartnern und Beratern, mit denen sie sich nach eigenen Angaben über rund drei Jahre getroffen und ausgetauscht haben und deren Ansichten oder Zukunftsideen in das Buch eingeflossen seien. Darunter sind Internetaktivisten, Geschäftsleute und viele ältere Politiker aus einer Vielzahl von Ländern. Sie nennen so unterschiedliche Menschen, wie Julian Assange (WikiLeaks), Al-Waleed bin Talal (Saudischer Prinz), Sukhbaatar Batbold (ehemaliger mongolischer Ministerpräsident), Craig Mundie (Microsoft), Paul Kagame (Ministerpräsident von Ruanda), Henry Kissinger (Ex-Außenminister der USA) und viele Dutzend mehr, darunter eine lange Liste von Google-Mitarbeitern

Schmidt ist einer derjenigen, die Google von einer Zwei-Studenten-Klitsche in einen Weltkonzern umwandeln half, Cohen ein langjähriger und immer noch Google von „ganz oben“ lenkender Mitarbeiter, insofern erstaunt es wenig, daß das Buch passagenweise ordentlich googlelastig daherkommt, allerdings selten offen. Beide sind US-Amerikaner und wenigstes unbewußt stark von der oft religiös anmutenden Grund­über­zeugung der Mehrheit der weißen Nordamerikaner geprägt: „Wir sind die Guten. Immer.“ – auch wenn sie gelegentlich daran ein wenig Kritik durchscheinen lassen. Ähnlich kommt eine erstaunlich unreflektierte Technikgläubigkeit zum Tragen und ein Bekenntnis zu der Doktrin, daß Fortschritt zum Besseren mit einer Ausweitung von technischen Systemen verbunden und weltweit unvermeidlich sein wird und den USA eine ideologische, wirtschaftliche und kulturell prägende Führungsrolle zusteht.

Die Themen und Szenarien, mit denen sie sich immer wieder befassen, wirken in ihrer regelmäßigen Wiederholung leicht bedrückend. Beinahe ständig geht es um Unterdrückung, übergriffige Staaten und Regimes, Kriege, Naturkatastrophen, Terrorismus, Verfolgung von Minderheiten und die Idee, daß zwar auch Arme von der Entwicklung der Technik ein wenig profitieren könnten, aber bei weitem nicht in dem Maße, wie Menschen aus reichen, westlichen Ländern, die anderen also die Underdogs und Minderprivilegierten bleiben werden. Und selbstverständlich bedarf es Reicher vor Ort oder kapitalkräftiger westlicher oder eigentlich nordamerikanischer Unternehmen, die Segnungen, wie Funknetze, bei den Armen der Welt aufbauen, wenn die mal wieder von Kriegen oder Naturkatastrophen heimgesucht worden sind.

Die beiden erwarten, daß Staaten versuchen werden, das Internet in ideologische und kulturelle oder staatliche Zonen zu zerlegen und über die Netzwerke eine starke Kontrolle über ihre Untertanen oder Bürger auszuüben. Sie lassen offen, ob das gelingen wird, beschreiben aber mehrere Möglichkeiten, wie das teilweise gelingen oder mißlingen könnte. Über die von Edward Snowden und einigen Journalisten bekanntgemachten Aktivitäten in den Netzen, von deren öffentlicher Aufdeckung sie vermutlich noch nichts wissen konnten, schreiben sie naturgemäß nicht, kommen aber in der Beschreibung dessen, was Staaten tun könnten und wahrscheinlich tun werden, recht nahe an vieles heran, das jeder Informierte so oder ähnlich ohnehin erwartete, und das wir Snowden sei Dank jetzt wissen, selbst wenn vieles, das sie schreiben, eher im Unkonkreten und Vagen bleibt.

Für wen ist das Buch interessant zu lesen?

Abgesehen davon, daß es recht umfangreich ist und keine wirkliche Vision einer Zukunft, sondern eher das für Fachleute Erwartbare darstellt, sind einige der präsentierten Ideen, vor allem der ersten Kapitel, durchaus lesenswert. Das gilt obwohl, und teilweise weil, sie sich mit einigen Themenfeldern nicht wirklich auseinandersetzen und dafür keine Zukunftsaussichten vorlegen. Beispielsweise künftige Entwicklungen der digitalen Allmende, des Urheberrechts und einige Aspekte der Handhabung persönlicher Daten erscheinen eher als Randthemen, sie werden erwähnt, mehr nicht. Fragen der Energieversorgung werden gar nicht besprochen. Auch Kapitalgeber mit ihren erwartbaren Machtpositionen kommen nicht weiter vor. Für Menschen ohne Verständnis für Vernetzung und die Notwendigkeit, jetzt politische und zu Teilen wirtschaftliche und software- wie designtechnische Entscheidungen zu treffen, die die Zukunft unserer Netze und ihre Nutzung deutlich beeinflussen werden, ist das Buch vermutlich zum Einstieg in die Materie wenig geeignet, auch wenn es anders verkauft wird. Es ist dafür, trotz vieler Vereinfachungen, zu kompliziert und zu verwirrend umfangreich. Wer es dennoch liest, wird vielleicht mit einer gewissen Ratlosigkeit konstatieren, daß er einige der anstehenden Entscheidungen lieber den Fachleuten überlassen wird. Das wäre auch kein schlechtes Ergebnis. Für erfahrene und intime Kenner der Vernetzung, der Softwaretechnik und der Zusammenarbeit in sogenannten sozialen Netzwerken bietet das Buch vergleichsweise wenig Neues. Da würde eine Kurzfassung unter hundert Seiten plus Anhänge reichen.

Über die Autoren:

 [Foto von Eric Schmidt] Eric Schmidt

Eric Schmidt wurde 1955 in Washington, D.C. oder in Falls Church in Virginia, dem Ort, wo er aufwuchs, in den USA geboren. Er studierte in Princeton und Berkeley. Er arbeitete bei Zilog, Bell, Xerox, Sun, Apple, Novell und ab 2001 bei Google, wo er seitdem in maßgeblichen Leitungsfuntionen tätig ist.

 [Foto von Jared Cohen] Jared Cohen

Jared Cohen wurde 1981 in Weston in Connecticut in den USA geboren. Er studierte in Stanford und Oxford. Er arbeitete für die Regierungen der USA unter Condoleezza Rice und Hillary Clinton, vor allem im Bereich Planung, Terrorismus, Mittel- und Fernost, Freiheiten im Internet und bei der Unterstützung ausländischer Oppositionsbewegungen. Seit 2010 leitet er einen der Zweige von Google.


Das Buch::

Eric Schmidt und Jared Cohen :
„Die Vernetzung der Welt“
Ein Blick in unsere Zukunft.
Aus dem Englischen von Jürgen Neubauer.
1. Auflage.
Rowohlt  Verlag, Reinbek bei Hamburg, Deutschland, Mai 2013, 441 Seiten.
ISBN 987-3-498-06422-8

Original:

„The New Digital Age“
Reshaping the Future of People, Nations and Business.
Alfred A. Knopf, New York, 2013.
ISBN 0-30795713-6

Die Webseite zum Buch: http://www.newdigitalage.com/